DFG – Phase 2 (2024-2027)

English

Korruption und Religion:

Der weltweite Kampf gegen Korruption ist in eine Sackgasse geraten. Das Thema mobilisiert nicht mehr, stattdessen verbreiten sich Ratlosigkeit und Zynismus, wenn sich verfeindete Lager gegenseitig mit Korruptionsvorwürfen überhäufen und autoritäre Regierungen ihre Gegner wegen vermeintlicher Korruption verfolgen lassen. Wie sind wir in diese Situation gekommen? Schon in den 2010er Jahren, als die Politikberatung noch an die Möglichkeit einer immer besseren Regierungsführung glaubte, warnte die Soziologin Alena Ledeneva, dass Korruption nur dann erfolgreich zurückgedrängt werden könnte, wenn lokale Korruptionsverständnisse und Vorstellungen von Gerechtigkeit mit einbezogen würden. Dazu kam es allerdings kaum, stattdessen verstand sich die wachsende „Antikorruptionsindustrie“ eher als Türöffner für große Firmen, die beim Markteintritt möglichst übersichtliche Bedingungen vorfinden sollten. Nicht zuletzt durch diesen Fokus tat sich in vielen Gesellschaften eine Schere zwischen Antikorruption und Gemeinwohlvorstellungen auf. Lokal wurde Antikorruption jetzt oft als verdeckte Strategie westlicher Dominanz gesehen und der Korruptionsvorwurf zum rhetorischen Geschoss im politischen Grabenkampf degradiert.

Die zweite Förderphase versteht sich vor diesem Hintergrund als Reparatur – als Versuch, lokale, kulturell tief verankerte Vorstellungen von Korruption zu verstehen und in die Korruptionsforschung einzuspeisen. Zu diesen Basisressourcen zählt Religion, deren „Korruptionsdenken“ bislang in der Forschung nur wenig behandelt wurde. Das gilt insbesondere für das orthodoxe Christentum, die stärkste Glaubensgemeinschaft im östlichen Europa, die – ausweislich der bekannten Korruptionsindizes – angeblich ein größeres Korruptionsproblem hat als das katholische und insbesondere das protestantische westliche Europa. Allerdings hat die Orthodoxie auch ihre eigenen, in den sakralen Texten und in der Tradition verankerten Antikorruptionsvorstellungen, deren Inhalt und Beziehung zu anderen, konkurrierenden Normen wir beleuchten wollen.

Die zweite Förderphase besteht aus drei Unterprojekten mit jeweils einer Promotionsstelle für drei Jahre: 

– Historisches Teilprojekt: Likhoimstvo. Law and Morality in the Russian Empire, 1762-1825.

– Linguistisches Teilprojekt: Spricht die Kirche eine eigene Sprache? Säkulare und religiöse Korruptionslexik im Russischen (2000-2023)

– Betriebswirtschaftliches Teilprojekt: Die Kirche als Organisation und Akteur. Informalität und Korruption in Serbien und die Rolle der Serbischen Orthodoxen Kirche (1991-2023)

Dabei untersuchen wir über das historische Unterprojekt, in welchem Ausmaß sich die säkularen Korruptionsvorstellungen des Zarenreichs aus religiösen Quellen speisten. Im linguistischen Teilprojekt vergleichen wir die kirchliche mit der säkularen russischen Korruptionslexik, stellen also sprachlich vermittelte Weltbilder gegenüber. Das in der Managementwissenschaft angesiedelte Teilprojekt schließlich beschäftigt mit den Ressourcenströmen in und um die Serbische Orthodoxe Kirche, den entsprechenden Regelungen, Realitäten und Deutungen. 

30.04.2025 15:39